Vermutlich habt ihr ebenfalls die Debatte um die Wahl des Vogels des Jahres 2021 verfolgt, die in der in der letzten Zeit die mit viel Enthusiasmus geführt wurde. Für die Ornithologen völlig unerwartet, wurde durch eine koordinierte Social-Media-Aktion die Straßentaube so stark favorisiert, dass sie die Vorwahl gewonnen hat.
Einige grundlegende Fakten zur Stadttaube:
Die Stadttaube, auch als Straßentaube bezeichnet, ist eine genetisch von der Wildform Felsentaube abweichende und sehr häufige Kulturfolgerin in unseren Städten. Ihre Vorliebe für städtische Strukturen wie hochgelegene Balkone, Mauernischen und Simse an Gebäuden, die sie zum Rasten, Übernachten und Brüten nutzen, ähneln den natürlichen Lebensräumen der Felsentaube. Brutplätze stehen in der Stadt grundsätzlich reichlich zur Verfügung.
Zu den Ursachen für die zu hohe Population an Straßentauben in den Städten gehört u. a. das üppige Futterangebot, das nicht zuletzt auch noch durch Fütterungsaktionen von Taubenfreundinnen und -freunden aufgestockt wird. Ihr breites Nahrungsspektrum in der Stadt reicht von Sämereien bis hin zu Speiseresten aller Art, die in Städten ganzjährig zur Verfügung stehen.
Felstentauben wie Straßentauben haben keine Reviere. Für die Größe einer Population spielen zwei Faktoren eine wichtige Rolle:
Die Anzahl von Nistmöglichkeiten in einem Gebiet und das Futterangebot. Fressfeinde wie Wanderfalke, Habicht, Uhu oder Steinmarder haben keine entscheidende Bedeutung. Örtlich können sich so sehr individuenreiche Stadttaubenschwärme bilden. In einer Reihe von Städten ist deshalb ein allgemeines Fütterungsverbot für die Stadttauben in Kraft.
Welche Probleme entstehen durch Stadttauben?
Wenn sie in großer Zahl auftreten, fühlen sich viele Bürgerinnen und Bürger durch Stadttauben belästigt. Vor allem der Kot der Tiere führt zu einem erheblichen Reinigungsaufwand. Jede Stadttaube produziert 10 bis 12 kg Nasskot pro Jahr, der örtlich zu hygienischen Problemen führen kann.
Seit Jahrzehnten wird als Reaktion auf die Taubenvermehrung und die damit einhergehende Verschmutzung von Gebäuden und Dachstuhlräumen eine Taubenabwehrhaltung der Hausverwaltungen beobachtet. Das Versperren der Einflugöffnungen an Gebäuden, mit dem eigentlich die Verschmutzung durch Taubenkot vermieden werden soll, ist die häufigste Maßnahme für viele Hausverwaltungen. Bedauerlicherweise verlieren dadurch auch seltenere Vogelarten unserer Städte wie Dohle, Turmfalke, Mauersegler, Hausrotschwanz, Grauschnäpper und Haussperling Möglichkeiten zum Nisten!
Welche Möglichkeiten zur Regulierung der Populationsgröße bestehen?
Die Tötung der Straßentauben, außer in genau definierten Ausnahmefällen, ist nicht zu rechtfertigen und aus Gründen desTierschutzes abzulehnen.
Die Taubenpille: Das Verfahren ist sehr aufwändig und führte bei Feldversuchen de facto bestenfalls lediglich zu einer Stagnation der Taubenzahl.
Ein Taubenhaus zieht keine Tauben aus der weiteren Umgebung an, aber es bietet dem vor Ort vorhandenem Schwarm ein Zuhause.
Die Vorteile:
Die Tauben halten sich nachts und auch über einen großen Teil des Tages in den Taubenhäusern auf. Ein erheblicher Teil des Kotes wird dort abgesetzt und dadurch geht die Verschmutzung in der Umgebung spürbar zurück.
Der regelmäßige Austausch der Taubeneier durch Attrappen hält die Population der Tauben auf einem akzeptablen Niveau.
Durch das kontrollierte Füttern, die regelmäßige Reinigung und die Möglichkeit der Gesundheitskontrolle der Tiere im Taubenhaus sinkt das Risiko von hygienischen Problemen.
Die Taubenfreundinnen und -freunde können den Betrieb von Taubenhäusern als Helfer*Innen unterstützen und damit zum Wohlergehen der Stadttauben wirkungsvoll beitragen!
Der punktuelle Einsatz von Greifvögeln durch Falkner oder die Ansiedlung von natürlichen Feinden, die natürlicherweise Kleinvögel jagen (Wanderfalken-Nisthilfen), zeigt nur eine begrenzte Wirkung und ist nur als Teil eines umfassenderen Konzeptes zur Taubenvergrämung sinnvoll.
Was sollte getan werden:
Die Einrichtung von Taubenhäusern mitsamt der Einbindung der Taubenfreundinnen und -freunden, die Schaffung von geeigneten Umweltbedingungen für Greifvögel, die Aufklärung der Bevölkerung durch eine positive Öffentlichkeitsarbeit sowie das Fütterungsverbot als unterstützende Maßnahme erscheinen sinnvoll zu sein! Viele Städte, darunter die Landeshauptstadt München, folgen diesem Konzept.
Warum kann es Naturschützern nicht egal sein, wenn die Straßentaube der Vogel des Jahres 2021 wird?
Wohl gehört auch die Stadttaube zur Vogelwelt, dennoch wäre eine Wahl der Straßentaube zum Vogel des Jahres 2021 aus den dargelegten Fakten ein verkehrtes Signal!
Es ist zu bedenken, dass durch das Versperren der Einflugöffnungen an Gebäuden, mit dem eigentlich die Verschmutzung durch Taubenkot vermieden werden soll, eine ganze Reihe anderer, seltenerer Vogelarten wie Dohle, Turmfalke, Mauersegler, Hausrotschwanz, Grauschnäpper und Haussperling entscheidende Möglichkeiten eingebüßt haben, um hier zu brüten. Die Bestände dieser Vogelarten sind stellenweise dramatisch eingebrochen!
Naturschutzverbände empfehlen deshalb, 2021 der Amsel bei der Schlussabstimmung die Stimme zu geben.
Die Amsel verdient ganz und gar den ersten Platz, gerade wegen ihrer Anpassung als ehemaliger Waldvogel an den Lebensraum Garten und Stadt. Sie ist damit ein Symbolvogel für eine Tierart im Wandel der Zeit und verdient unsere Unterstützung!
Abstimmen könnt Ihr unter https://www.vogeldesjahres.de/
Von Hans Greßirer
Landesfachgruppenleiter Arten- und Biotopschutz der NaturFreunde Deutschlands, Landesverband Bayern e.V.