Lieber Hans, Du bist zertifizierter Hornissen- und Wesbenberater der Unteren Naturschutzbehörden in München Stadt und Land. Verrate uns: Hans, wie verändern sich die Aktivitäten der Hornissen während der Fortpflanzungszeit?
Hans Greßirer (HG): Es werden Großzellen für sog. Geschlechtstiere angelegt, d. h. für Männchen und Jungköniginnen und die ersten Geschlechtsstiere schlüpfen bereits!
Was löst dieses veränderte Nistverhalten aus?
HG: Die Reproduktionsphase wird einerseits von der im Spätsommer zunehmend kürzeren Tageslänge ausgelöst bzw. gesteuert und andererseits wird vermutet, dass ein spezielles Pheromon, das ist ein Duftstoff der Königin, die Arbeiterinnen dazu bringt, vermehrt Geschlechtstierzellen zu bauen.
Wie muss man sich das konkret vorstellen?
HG: Die Arbeiterinnen legen nun im unteren Nestbereich Waben mit Großzellen an, die dem Heranwachsen von männlichen Hornissen und jungen Königinnen dienen. Auch die das Nest begründende alte Königin hält sich jetzt hauptsächlich im unteren Nestbereich auf und legt Eier (=bestiftet) in die Großzellen für die Geschlechtstiere (=Königinnen und Drohnen).
Entspringt es dem Zufall ob junge, weibliche Königinnen oder männliche Drohen entstehen?
Nein, alleine die Hornissenkönigin bestimmt, was aus einem Ei schlüpfen soll. Die jungen Königinnen entstammen befruchteten Eiern, die in den Großzellen abgelegt wurden. Diese Vollweibchen werden zu neuen "Königinnen" für die kommende Saison. Die Drohnen wiederum entstehen im Rahmen einer eingeschlechtlichen Fortpflanzung aus unbefruchteten Eiern. Drohnen haben also nur eine Mutter, nämlich die Königin, aber keinen Vater!
Wie geht die Entwicklung dann weiter?
Ungefähr vier 4 - 6 Wochen dauert die Entwicklung vom Ei über Larve und Puppe, bis hin zum fertigen Geschlechtstier. In dieser Phase findet auch die Bildung eines sogenannten Hofstaates statt, wenn die erwähnten Großzellen für die Geschlechtstiere angelegt sind.
Ein Hofstaat? Das klingt ja interessant!
In der Tat! Nun versammeln sich mehrere Arbeiterinnen in einem Kreis um die Königin und bilden den "Hofstaat". Die Königin wird vom "Hofstaat" mit den Fühlern betrillert, außerdem gefüttert und ausgiebig am ganzen Körper beleckt. Auch durch gelegentliches Anschubsen versuchen die Arbeiterinnen des Hofstaates die Königin dazu anzutreiben, vermehrt Eier in die vorbereiteten Geschlechtstierzellen zu legen.
Verstanden. Wie geht es dann weiter?
Ab etwa Mitte September kann man den Abflug der ersten Geschlechtstiere beobachten. Den Beginn machen die Drohnen. Sie verlassen den Wespenstaat und patroullieren um das Nest herum. Sie warten auf den Abflug der jungen Königinnen und prüfen auch, ob es in der Umgebung weitere Hornissenvölker gibt, um ggf. auch dort Jungköniginnen begatten zu können. Die Begattung der jungen Königinnen geschieht bereits am Nest oder beim Hochzeitsflug!
Wie geht es dann mit dem diesjährigen Hornissenvolk weiter?
Im Verlauf der zweiten Septemberhälfte, spätestens aber Anfang Oktober beginnt die sogenannte Absterbephase des Hornissenvolkes. Die das Hornissennest begründende alte Königin hat in ihrem gut einjährigen Leben das Volk zunächst allein aufgebaut und tausende von Eiern gelegt, aus denen Arbeiterinnen, später auch junge Königinnen (=Vollweibchen) und Drohnen geschlüpt sind. Sie ist nun nicht mehr in der Lage Eier zu legen und sie ist vom ihrem langen, stressreichen Königinnenleben gekennzeichnet.
Was bedeutet das?
Die Flügel sind zerfleddert, Haare fehlen und die Gliedmaßen sind verstümmelt. Auch die Kraft, ihr Volk über Pheromone (Duftstoffe) zu regieren, schwindet und so wird sie aus dem Nest gedrängt, sofern sie nicht dort schon aus Schwäche stirbt.
Die Fortpflanzung ist also jetzt beendet?
Richitg, jetzt beginnt die Absterbephase, d. h., dass der Hornissenstaat sich schrittweise auflöst. Obwohl die Nestgründerin nun gestorben ist, endet mit ihrem Tod das Leben im Staat noch nicht sofort. Eier werden nun zwar keine mehr gelegt. Dadurch verringert sich der Flugverkehr täglich und der Hornissenstaat stirbt langsam ab. Auch die Geschlechtstiere (= junge Königinnen und Drohnen) verlassen nun das schützende Nest. Bald nach dem Hochzeitsflug sterben die Männchen (Drohnen).
... und die jungen Königinnen?
Die begatteten Weibchen, also die jungen Königinnen, suchen noch herbstliche Nektarquellen auf. So bietet beispielsweise der im Herbst blühende Efeu eine gute Nektarquelle. Im Verlauf des November suchen sich die einzigen Überlebenden des diesjährigen Hornissennestes, die begatteten jungen Königinnen, ein geeignetes Winterquartier und treten in die Diapause ein.
Diapause? Was muss man sich darunter vorstellen?
Die Diapause ist eine vorübergehende Entwicklungsverzögerung in der Entwicklung von Lebewesen, hier also der Hornissenkönginnen, die u. a. durch einen herabgesetzten Stoffwechsel, eine gehemmte Entwicklung oder eine geringe Wirksamkeit von Umweltreizen gekennzeichnet ist und in Form einer Winterstarre gut versteckt verbracht wird. Als Verstecke dienen etwa morsches Holz, Hohlräume unter Moos oder Rinden, im Kompost etc.
Hans, vielen Dank für diese interessanten Einblicke!